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Was heisst es, Mutter zu werden?
Julia Wissmann, SWEETSPOT Online Redaktion
Geht man davon aus, dass die Hälfte der Menschheit weiblich ist, davon dann ein Drittel im gebärfreudigen Alter, und davon dann mindestens die Hälfte aus Müttern besteht, dann müssen wir zugeben, dass es sich dabei um eine große Menge an Menschen handelt, die vermutlich mehr oder weniger das gleiche Schicksal tragen. Vielleicht ist das Wort Schicksal an dieser Stelle auch nicht das richtige, vielmehr geht es doch um die Erfahrung und das Gefühl, welches diese Menschen unabhängig von einander erleben. Die Mutterrolle, eine Rolle, auf die man nicht wirklich vorbereitet wird: weder gibt es ein Schulfach noch eine Ausbildung oder ein Studium, welches sich konkret mit dem Mutterdasein beschäftigt. Wir bekommen erklärt, wie man rein physiologisch Mutter wird, aber nicht, was es heißt Mutter zu sein. Es heisst „sobald du dein Kind in deinen Armen hältst, weißt du was zu tun ist“ oder „man muss erst Mutter werden, um zu verstehen, was es heisst Mutter zu sein“. Diese Sätze und noch viel mehr kursieren durch die Welt so als wäre es ein Wunder, oder ein Zaubertrick, der sobald das Baby da ist, ausgesprochen wird und zack ist aus der Person eine Mutter entstanden.
Alle Liebe der Menschen muß erworben, erobert und verdient, über Hindernisse hinweg erhalten werden. Die Mutterliebe allein hat man unerworben und unverdient.
Berthold Auerbach.
So mystisch wie die Mutterrolle verkauft wird, so natürlich wird sie von der Menschheit propagiert. „Natürlich“, weil es Teil der Natur ist, Mutter zu sein, aber auch irgendwie selbstverständlich, denn jede weibliche Person, die ein Kind hat, ist Mutter (im biologischen oder nicht biologischen Sinn) ob sie will oder nicht.
Wird man dann einst zur Mutter, so merkt man erst, wie viele Sachen unausgesprochen sind, was es wirklich heisst eine Mutter zu sein. Welche Schwierigkeiten und Herausforderungen mit dieser doch so selbstverständlichen und natürlichen Rolle einhergehen. Herausforderungen, über die immer noch zu wenig gesprochen wird. Herausforderungen, die zum einen schon immer da waren und zum anderen durch unsere sozialen Strukturen erst entstanden sind. Auch wenn gewisse (sehr wichtige Aspekte) universell und zeitunabhängig sind, ist eins sehr gewiss, die Mutterrolle in der modernen heutigen Zeit unterscheidet sich jetzt schon von der Mutterrolle, die die Generation unserer Eltern getragen haben. Wären dies nicht noch mehr Gründe, die für eine besondere Ausbildung, Vorbereitung auf die Rolle hinweisen müssten? Nicht um angehenden Müttern etwas abzusprechen, sondern ihnen ganz klar zu siganliseren: „Ist seid nicht allein“. Wenn doch die Kinder, die Zukunft sind, und wir alle eine Zukunft haben wollen, müsste dann nicht der Mutterrolle eine größere Bedeutung und Wertschätzung zugetragen werden?
Angehende Mütter werden nicht nur auf das Mutterdasein vorbereitet, sie haben auch später nur bedingt eine Bühne in unserer Gesellschaft. Ist das Kind einmal geboren oder adoptiert, müssen wir von Glück reden, dass zumindest die meisten eine Hebamme haben, die die ersten Wochen für paar Minuten des Tages Teil der gewachsenen Familie wird.
Da wir in der modernen Zeit, nicht mehr wie früher, isolierter leben, Großeltern seltener neben an wohnen, die Kommune oder das „Rudel“ nicht mehr so existiert, wie es einmal der Fall war, wo die Kindererziehung in der Verantwortung des Dorfes stand, sind wir größtenteils auf uns allein gestellt. Wir tragen nicht nur Aufgaben des Alltags gänzlich auf unseren Schultern, sondern auch die Ängste und Sorgen, wodurch der Druck der Gesellschaft über das aufgezwungene Verständnis der Mutterrolle nur noch größer wird. Und hier kommt das Dilemma: während wir für die Rolle auf der Arbeit durch eine Ausbildung oder ein Studium vorbereitet werden, trifft dies nicht auf die Mutterrolle zu.
Der Arbeitgeber ist nicht nur in der Pflicht die Rolle über ein entsprechendes Rollenprofil zu definieren, er muss sie sogar finanziell entlohnen. Dieses Privileg steht uns Müttern nicht zu. Man hört Sätze wie „wie gut ihr es in Deutschland habt, dass ihr während der Mutterschutzzeit gut bezahlt werdet“ und es gibt ja das Elterngeld, welches den Müttern die finanzielle Freiheit bietet, sich dem Mutterdasein zu widmen.
Um Missverständnissen entgegenzukommen, selbstredend sind dies gute Entwicklungen und gleichzeitig müssen wir uns fragen, ob die genug ist, ob es genug ist für eine derartige große Verantwortung, der wir der Mutterrolle zuschreiben. Denn so ist es, während wir für die Rolle auf der Arbeit vorbereitet werden, geschieht dies nicht bei der Mutterrolle, aber der gesellschaftliche Druck über die Erwartung, was eine „gute“ Mutter ist und was sie vor allem nicht ist, ist allgegenwärtig. So stelle man sich nur vor, man müsste ohne eine Studium vorher ausgeübt zu haben, einen Menschen am Herzen operieren. Mit Sicherheit wären nur sehr wenige Menschen bereit sich dieser großen Herausforderung zu stellen.
Wenn es früher doch ganz normal war, dass man eben nicht alleine gelassen wurde als Mutter, wieso ist dies heute der Fall? Sind die Mütter selber Schuld, weil sie gewagt haben zu träumen? Weil sie einer Ausbildung oder einem Studium nachgegangen sind, um die Welt zu bereichern? Ist das der Preis, den sie dafür zahlen müssen? Wieso schafft es unsere Gesellschaft nicht, den Bedürfnissen der Mutterrolle gerecht zu werden? Wieso werden sie damit größtenteils alleine gelassen? Man stelle sich eine Welt vor, in der die Mütter für die überaus wichtige Verantwortung finanziell entlohnt werden (und damit ist ein deutlich höheres Budget gemeint als das aktuelle Elterngeld).
Wenn die Regeln der aktuellen Welt und damit die des Kapitalismus, der Person mehr Wert und Macht zuspricht, der mehr Geld bekommt, dann sollte die Mutterrolle dabei berücksichtigt werden. Stattdessen müssen Mütter in den meisten Fällen nach einem Jahr zurück zu Arbeit, meist in Teilzeit, meist mit weniger Verantwortung, um der Kinderpflege weiterhin gerecht zu werden. Sie sind es folglich die, die im höheren Alter weniger Rente bekommen. Es sollte dafür gekämpft werden, dass die Mutterrolle eben nicht selbstverständlich ist, und dass wir diese benötigen um eine gesunde Gesellschaft zu gewährleisten. Mütter müssen die Zeit und den Raum bekommen, auf dieses verantwortungsbewusste Amt vorbereitet zu werden. Sie müssen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen. Wir müssen verstehen, dass die Herausforderungen heute andere sind als gestern und folglich Strukturen aufbauen, die den Müttern ein gutes Gefühl geben und damit die Zukunft zu sichern, die wir alle brauchen. Eine Zukunft auf die wir hoffen können.
Dies ist ein Beitrag von Julia Wißmann, Gastbeitrag
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